Mittwoch, 22. Juli 2009

lissabon duftet

ich hätte mir nie gedacht, dass eine stadt so gut riechen kann. an jeder ecke duftet es nach frisch geputzten fußböden und zuckertörtchen, von denen außerdem in den beruhigend flächendeckend installierten konditoreien eine beglückend riesige menge in erfreulich vielen sorten produziert und angeboten wird. du liebe güte, müsste ich dort leben, wäre ich in kürzester zeit quadratisch! und außerdem blind, denn selbst wenn man den blick aufs trottoir senkt, brutzelt einem an sonnigen tagen der reflektierende cremefarbene pflasterstein die bindehaut weg. (schneebrille? warum nicht?)

was von der geistigen verfasstheit dieser stadt zu halten ist, vermag ich nicht zu sagen. betritt man die igreja sao roque, können einem schon zweifel kommen. man sieht es auf dem foto nicht sehr gut, aber die kapellen links und rechts sind von einer ornamentik, dass selbst stabilen gemütern wie mir schwummrig wird: die verzierungen sind in sich noch einmal verziert, verschlungen und ineinander verdreht, dazwischen klemmen schockweise putten oder auch nur ihre köpfe, dazu flügel, beinchen und ekstase, dass es rauscht. unnötig zu erwähnen, dass alles in gold gehalten ist. im vergleich dazu schaut die madonna mit ihrem drögen blauen umhang fast etwas, nun ja, blank aus der wäsche. in den beiden nischen links und rechts vom altarraum hat sich übrigens eine familie einen privaten reliquienschrein eingerichtet und dort gipsköpfe, handmodeln und in kleinen glaskästchen auf samt montierte gebeine untergebracht.

ähnlich kurzweilig ist die ausstellung über portugals entdeckung "neuer welten" im museu nacional de arte antiga (seite offenbar nur auf portugiesisch). die museumsverwaltung sollte einem für einen leicht erhöhten eintrittspreis ein volksschulkind zur verfügung stellen, das einen da durch begleitet, damit man sich so richtig reintigern, ohne falsche scham "schau!" rufen und dauernd auf alles mögliche hindeuten kann: auf landkarten, auf wimmelbilder-gemälde, auf beutekunst wertvolle objekte aus den bewirtschafteten ländern, auf den dreibeinigen hocker aus elefantenknochen, den man extra aus kremsmünster hergeholt hat, oder auf die japanischen wände, mit denen die japaner sich offensichtlich über ihre neuen handelspartner lustig gemacht haben. darauf sieht man die portugiesen, wie sie mit sklaven, sonnenschirmen und einer enormen entourage durch die gegend stiefeln und sich beim geschäfte-machen nachdenklich am bart zupfen. mit einem wort, ein riesenspaß, den niemand verderben wollte, indem man etwa auch nur einen satz über die folgen des kolonialismus für jene menschen verliert, die im heutigen brasilien schon lebten, bevor die herren in pluderhosen an land gingen. statt dessen hängt man lieber zwei riesige bilder auf, die die schönen wilden in ihrer ursprünglichen anmutung abbilden - typische attribute wie obst oder werkzeug inklusive. dazu passt, dass im stadtmuseum die zeit der maurischen herrschaft offenbar nicht stadtfindet, wie h. erzählt.

aber da ist ja noch der kellner im café a brasileira. der sagt zu h.: "ah, sie sind deutscher? gute leute: goethe, hegel, kant." und ein paar tage später: "kennen sie robert kurz? nein?" - den mann muss man im auge behalten.

und lissabon? das ist einfach so, wie triest gerne wäre. wie ich triest gern hätte. aber leider so weit weg.

Dienstag, 14. Juli 2009

bildungskarenz, olé!

gitarrestunden. sport. einen haufen bücher lesen und vor allem: endlich wieder etwas lernen! seit die chefin gestern meinen wunsch nach bildungskarenz abgenickt hat, kommt die freude in wellen. was ich alles werd' machen können! gut, ich werde mit einem betrag auskommen müssen, der unter der armutsgrenze liegt, weil sich das weiterbildungsgeld wie das arbeitslosengeld am gehalt bemisst und man mir für ein studium, sagen-wir-mal zehn jahre berufserfahrung und zwei jahre auf dem aktuellen job so viel bezahlt, wie einer anlernkraft im fitnessstudio, aber was soll's.

freude macht mir auch die aussicht, in eine welt einzusteigen, die nichts schöngeistiges hat. einst war ich ein junges ding und rief mit walt whitman: "pioneers! oh, pioneers!" heute bin ich ein älteres ding und rufe ganz allein: "engineers! oh, engineers!" eure pragmatische sicht auf die welt inspiriert mich, euer kryptischer fachjargon atmet melancholie, eure art, euch zu kleiden, ist der letzte mögliche akt des protestes gegen flacharsch-strechjeans und pornosonnenbrillen - und ihr wisst noch nicht einmal davon. war es nicht kleist, der anhand des dornausziehers (pdf)beschrieben hat, dass schönheit zur gänze aus der unbewusstheit entspringt? ihr seid der letzter hort des klassischen ideals. gewährt mir einen platz in eurer mitte, ihr tapferen männer und frauen, und ich werde eure übersetzerin sein und der welt verkünden, was ihr wieder großartiges erfunden habt.

Montag, 13. Juli 2009

karl

80 jahre ist er alt geworden und wenige monate nach seinem geburtstag gestorben. zwei wochen hat es gedauert, nicht länger. er ist ins krankenhaus gekommen, weil ein offener fuß nicht verheilen wollte. dort haben sie herausgefunden, dass er mehrere arten von krebs hat und nicht mehr geheilt werden kann. angeblich haben die ärzte nicht verstanden, wie er die schmerzen ertragen hat. aber er war nie ein mann vieler worte.

ich habe in meinem ganzen leben vielleicht zwanzig sätze mit ihm gewechselt. es wären nicht wesentlich mehr geworden, hätte er noch länger gelebt. er hat einfach nicht viel gesprochen, und ich hatte nie anteil an seinem leben. mein vater und auch seine anderen drei kinder kannten ihn aber als liebevollen menschen mit trockenem humor. meine tante erzählte beim begräbnis von einem streit mit ihrem damaligen partner, der etwas hätte reparieren sollen und es nicht zustande brachte: "dann habe ich gesagt: 'der papa hätte das schon lang erledigt.' und er hat gesagt: 'ja, ich weiß, dein papa ist einfach super!' und das war er wirklich für mich."

beim letzten familienausflug hat er mich, glaube ich, gesiezt. das lag vielleicht auch an h., der neben mir stand und den er nicht kannte. aber ich habe nicht das gefühl, etwas versäumt zu haben. es gab nie einen moment, in dem sich ein gespräch hätte entwickeln können.

er war arbeiter, hat in der arbeit meine oma kennen gelernt, war spö-mitglied und bei der freiwilligen feuerwehr. wie dann später mein vater, ist auch er bei seinen großeltern aufgewachsen, bevorzugt gegenüber den anderen pflegekindern, die sie zu sich genommen hatten, weil er leibliche verwandtschaft war. einer seiner brüder sieht ihm so ähnlich, dass ich erschrocken bin, als er die aufbahrungshalle betreten hat. auch er ein stiller, kleiner mann. ich habe ihn nicht weinen sehen.

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